Es gab eine Zeit, da ein sechzigster Geburtstag in meinem Bekannten-Kreis noch ein seltenes Ereignis war. Also traf ich mich, festlich gekleidet und extra von England hergereist, mit vielen andern Gästen im Hotel auf dem Gütsch in Luzern. Eingeladen hatte der Mann meiner Freundin. Sie wollte ihrem viel älteren Gatten, einem bekannten Arzt, ein besonderes Fest schenken mit alten Freunden und vor allem vielen Arzt-Kollegen. Mir schien es fast, als rieche es hier ein bisschen nach Spitalflur und vielleicht würde jemand sagen: «Machen Sie sich bitte frei!»
Mein Platz war gegenüber Alexander, einem Tierarzt und alten Freund. Ich erinnerte mich sofort, dass er stets sagte, er sei Spezialist für Kanarienvögel. Er selber war ein bekannter Spass-Vogel! Sein Sessel war direkt unter einem grösseren, modernen Gemälde eines bekannten Künstlers, vielleicht, wir waren ja im Gütsch-Hotel, sogar ein Original von Mondrian?
Das Essen war ausgezeichnet, der Wein vom Besten, wie man links und rechts lobte, und man prostete sich immer wieder zu: «Herr Kollege, auf Ihr Wohl»– und wieder ein Glas Wein. Auf dem Gabentisch häuften sich die Geschenke, auch hier nur das Beste, Teuerste, Silber, Flaschen, Bücher, Kunstwerke, eingepackt und ausgepackt – und immer von einer kürzeren oder längeren Übergabe-Ansprache begleitet.
Die Idee
Alexander war ein bekannter Wein-und-sonst-Liebhaber. Plötzlich zwinkerte er mir zu, dann klopfte er an sein Glas und erhob sich. Er knöpfte seine Jacke zu und faltete die Hände vor dem beachtlichen Bauch und räusperte sich: «Meine Damen und Herren.» Auch das leiseste Gemurmel verstummte. «Zum Geburtstag meines besten Freundes und Kollegen habe ich mir eine ganz besondere Überraschung ausgedacht». Erwartungsvolle Pause. «Ich habe dafür keine Ausgaben gescheut und viele Opfer gebracht – und auch einiges riskiert!» Zaghaftes Gelächter, dann «Werner, Freund, komm an meine Seite! So etwas hat dir keiner der Geizhälse im Saal mitgebracht! Hier ist meine Gabe!» Linker Arm um die Schulter des schmächtigen Werner, rechter Arm gezielt auf das Bild hinter seinem Kopf gerichtet: «Ein echter Mondrian. Direkt aus Paris. Ich schenke ihn dir, halte ihn in Ehren!»
Gelächter. Werner – in gespielter Dankbarkeit, berührt mit beiden Händen das Gemälde. Arme hoch in die Luft – und ein schriller Alarm ertönt. Direkt mit der Polizei verbunden. Also doch ein echtes Bild, denke ich.
Alexander – aber wohin ist denn Alexander verschwunden?